Klön-Café "Unsere Armser Behelfsheime" (17.11.2019)
4. Klön-Café "Unsere Armser Behelfsheime"
Ende November fanden sich um 15 Uhr wieder zahlreiche interessierte Armser wie auch ein paar Auswärtige in der Heimatstube des Dorfgemeinschaftshauses Armsen ein, um am 4. Klön-Café des Heimat- und Kulturvereins Armsen e. V. teilzunehmen.
Nachdem sich alle mit Kaffee und selbstgebackener Torte gestärkt hatten, wurden dieses Mal zum Thema „Unsere Armser Behelfsheime“ alte Dokumente und Bilder gezeigt. Im Fundus der Bilder-Datenbank ‚Historische Bilder und Dokumente aus Armsen' befinden sich derzeit allerdings nur zwei Fotos von Anfang der 50er Jahre sowie eine Postkarte von 1958 mit einer Luftbildaufnahme des Dorfes Armsen an deren unterem Bildrand die Behelfsheime zu sehen sind.
Als Zeitzeugin konnten wir Renate Rosebrock-Heemsoth gewinnen. Sie hat gemeinsam mit Ihren Eltern und Geschwistern von 1952 bis 1963 in einer Behelfsheim-Doppelhaushälfte gewohnt. Auch alte Nachbarn wie Willi Panning konnten kleine Anekdoten über die Bewohner der Behelfsheime erzählen. Am Ortsausgang von Armsen Richtung Luttum stehen bis heute alle 5 Doppelhäuser, 4 davon direkt an der Straße und 1 Doppelhaus in der 2. Reihe.
1943 ordnete die damalige Regierung an, das jedes Dorf Behelfsheime zu bauen hat. Das 'DWH für Luftkriegsbetroffene' gab damals zeitnah ein Informations-Faltblatt mit Lageplan, Ansichten, Grundriss und Querschnitt als Vorlage für die angehenden Bauherren heraus. Zudem gab es wenige Wochen später auch eine 'Baufibel' mit leicht verständlichen Anleitungen und Zeichnungen, die kostenfrei verteilt wurde. Es wurde erwartet, das Luftkriegsbetroffene die Behelfsheime weitgehend zusammen mit der Bevölkerung in Selbst- bzw. Gemeinschaftshilfe, also in Eigenleistung aufbauen. Mit dem Führererlass vom 9. September 1943 wurde geregelt, dass für Behelfsheime kein Baugenehmigungsverfahren sondern eine „Baukarte“ (d.h. zeitweilige Duldung der Bauten) durch die Bürgermeister erstellt wurde und - nach Fertigstellung - diese auch zum Bezug der pauschalen Baukostenerstattung durch die Finanzämter berechtigte.
Aufgrund der Förderung war es untersagt für Behelfsheime Mieten zu erheben. Für den Haustyp und Material gab es nur allgemeine Bestimmungen, aber die Abmessungen sollten strikt eingehalten werden und wurden für den 'Reichseinheitstyp' wie folgt definiert: Wohnfläche: 4,1 x 5,1 m, lichte Höhe 2,5 m + 200qm Land zur Selbstversorgung. Ortsgruppenleiter und Bürgermeister waren in der Pflicht geeignete Standplätze 'auf ertragsarmen Sandböden' und 'Bauwillige' zu finden sowie bei der Organisation, Materialbeschaffung und Anlieferung zu helfen.
In Armsen wurde mit dem Bau der Behelfsheime 1944 begonnen und bis Kriegsende waren 5 der wohl 10 geplanten Doppelhäuser fertig bzw. im Rohbau. Die Grundstücke gehörten damals zur Hofstelle Nr. 4 'Ohlhoffs', doch die Fam. Heemsoth wollte ihre Flächen nicht einfach hergeben und wurde quasi enteignet. Der damalige Bürgermeister Luhmann bemerkte wohl dazu: „Stellt Euch nicht so an, das ist doch bloß für eine kurze Zeit, nach dem Kriege werden diese Kaninchenställe sowieso wieder abgerissen!“ Erst Anfang der 50er Jahre wurde für das Land von der Gemeinde eine Pacht an Fam. Heemsoth gezahlt.
In Armsen entschied man sich für die kostengünstigste Variante und baute diese Häuser größtenteils aus Lehm, der aus der dorfeigenen Lehmkuhle (heute: Osterfeuerplatz) geholt wurde. Auf dem Platz der ehemaligen Sägerei Ueltzen (heute: Armser Kinderheim) fertigte die Firma Lohse aus Verden bereits Lehmbauteile für Behelfsheime im Umkreis. Dieser Umstand wurde von den Armsern genutzt. Zuerst wurde der Lehm abgegraben und transportiert, dann mit Häcksel und für die Außenwände auch mit Zement vermischt und anschließend in Formen eingestampft. Zum Baubeginn wurden die Ecken aufgesetzt; hier wurde dann ein Loch ausgespart, in das - für die Stabilität - eine Eisenstange eingeführt und anschließend mit Zement aufgefüllt wurde. Die Fenster wurden aus Kostengründen sehr klein gehalten. Jeder verfügbare männliche Einwohner in Armsen musste hier mithelfen. 1944 waren die ersten Behelfsheime bereits bezugsfertig und ausgebombte Familien aus Hamburg und Bremen kamen hier unter. Zur Wasserversorgung wurde noch ein Brunnen ausgegraben, die geplante Gemeinschaftswaschküche wurde nicht mehr fertiggestellt. In der Armser Chronik berichtet der mittlerweile verstorbene Friedhelm Junge als Zeitzeuge über den Bau.
Zur Geschichte der Armser Behelfsheime gehört auch die Geschichte vieler Ost-Flüchtlinge. Am Mittwoch, den 28. Februar 1945 wurden die ersten 21 Flüchtlinge in Armsen registriert, die von Bürgermeister Luhmann auf die verschiedenen Höfe und Häuser in Armsen verteilt wurden.
Lt. den Unterlagen der Gemeinde wurde bereits am 4. März 45 auch eine Flüchtlingsfamilie in einem Behelfsheim untergebracht. Fam. Deenker wurde mit 4 Personen einquartiert. Es ist allerdings nicht bekannt, ob das Behelfsheim auch leer stand oder bereits Ausgebombte Ihren Platz teilen mussten.
Am Samstag, den 14. April 1945 gegen 19 Uhr setzte der letzte Beschuss auf Armsen ein und alle Einwohner flüchteten in die Keller. Nur ca. 15 Minuten dauerte es; dann liefen drei Armser Bürger mit weißen Fahnen auf die Straße. Als die Einwohner, Flüchtlinge und Ausgebombten aus den wenigen vorhandenen Kellern kamen, standen bereits 10 Häuser und 1 Stall in Flammen und fast alle brannten bis auf die Grundmauern nieder. Jeglicher Hausrat war verloren und auch nicht alle Tiere konnten gerettet werden. Für Armsen war mit diesem Tag der Krieg zuende.
Bis Anfang September 1945 wurden bereits 327 Flüchtlinge in Armsen registriert. Für die meisten war unser Dorf nur eine Zwischenstation, aber es bedeutete für viele seit langem wieder ein Dach über dem Kopf zu haben. Bei der Verteilung des knappen Gutes Wohnraum musste viel improvisiert werden und für die Armser hieß es noch enger zusammenzurücken.
Eigentlich waren die Behelfsheime nur als Notunterkünfte für Luftkriegsbetroffene, d.h. ausgebombte Stadtfamilien gebaut worden. Nach Kriegsende wurden die Städte wieder aufgebaut und die Familien zogen zurück. Mit dem Zustrom von Flüchtlingen und Vertrieben wurde dieser freiwerdende Wohnraum dringend gebraucht.
Die Wohnraumbeschaffung für die vielen Neubürger in Armsen war eines der vordringlichen Probleme – die Einwohnerzahl in Armsen war von 448 im Mai 1939 auf ca. 730 in 1948 gestiegen! Wenn man berücksichtigt, das die Hofstellen und Häuser für den eigenen Bedarf gebaut wurden und einige Häuser auch durch Kriegseinwirkung stark beschädigt oder sogar abgebrannt waren, wird klar wie groß die Not für alle gewesen sein muss. In der Dorfchronik sind einige Beschlüsse über Zuzugsgenehmigungen, Belegungen, Zuweisungen oder Bestrafung bei Aufnahme ohne Anweisung des Gemeinderates aufgeführt.
Für 1949 gibt es eine erste Auflistung aller Familien, die in den Behelfsheimen untergebracht waren.
Mit viel Interesse hörten die Anwesenden den Erinnerungen von Renate Rosebrock-Heemsoth, geb. Heinze an Ihre Jugendzeit in einem der Armser Behelfsheime zu. Bereits 1946 kam Ihre Familie aus Hirschberg in Schlesien, über Barme in Armsen an. Damals war Renate 5 Jahre alt und sie erinnert sich, dass die Familie damals fest daran glaubte in wenigen Monaten wieder zu Hause in Hirschberg zu sein, sie also nur für eine kurze Übergangszeit in Armsen sein würden.
Nachdem sie mit ihrer Familie bei Fam. Kehlenbeck einquartiert worden waren - wo sie sich gut aufgenommen fühlten und bis heute ein herzliches Verhältnis besteht - zogen sie dann 1952 in eine Behelfsheimhälfte. Sie schilderte die Enge der 4 mal 5 Meter messenden Gebäudehälfte, die zunächst von ihren Eltern mit den 2 Kindern bewohnt wurde. Der Hauseingang befand sich bei allen Behelfsheimen auf der Giebelseite und links kam zuerst das Plumpsklo und die Speisekammer, im hinteren Teil das Wohnzimmer und rechts zuerst die Küche und anschließend das Schlafzimmer. Das 10 qm kleine Schlafzimmer war mit Betten für sie selbst und die Eltern sowie einer Kommode ausgestattet. Im 12 qm kleinen Wohnzimmer schlief der Bruder auf einer Schlafcouch, daneben stand ein großer Schrank mit den Habseligkeiten der Familie und ein Tisch. In einer Ecke befand sich der Ofen, auf dem immer ein Kessel mit heißem Wasser stand. In der 4 qm kleinen Küche erinnert sie sich an den Herd sowie eine Sitzbank mit 2 Waschschalen unter der Sitzfläche. 1955 kam Renates jüngste Schwester auf die Welt und lag bzw. schlief in einem Wäschekorb, der zumeist auf dem Wohnzimmertisch stand. Wenn allerdings Besuch kam, wurde sie mitsamt dem Wäschekorb unter den Tisch geschoben. Renate kann sich aber auch an die Anfeindungen erinnern, dass die Armser Kinder nicht mit Flüchtlingskindern spielen sollten. 1963/64 verkauften die Gemeinde Armsen und Fam. Heemsoth die Behelfsheime mit den zugehörigen Grundstücken an Privatpersonen; zumeist an die derzeitigen Bewohner. Auch wurde über die jüngere Vergangenheit der Armser Behelfsheime und ihrer Bewohner gesprochen. Viele Häuser sind über die Jahre mit Anbauten vergrößert worden. In der vergangene Zeit gab es immer wieder neue Eigentümer; darunter auch Ulli Wulf - ein Unikat und Armser Original, der zum Beispiel auf dem Armser Flohmarkt Messer und Scheren zu Gunsten des Dorfgemeinschaftshauses schliff. Daneben hatte Uli Wulf viele Jahre lang in der Adventszeit einen kleinen Tannenbaum mit Lichtern an seinen Kran gehängt, der im Dorf bei Dunkelheit weithin sichtbar war. Darauf angesprochen wird diese nette Tradition nun nach 10 Jahre von seiner Ehefrau wieder fortgesetzt. In diesem Jahr leuchtet der Baum wieder.
Das Organisationsteam mit Regina Röhrs und Bruno Bergholz dankt allen Rednern, Helfern und Gästen für diesen
interessanten und gelungenen Kaffeenachmittag.